Ich mag Physik, aber ich habe keine Ahnung davon. Dass beides einträchtig zusammengeht, ist eine der großen Paradoxien meines noch so jungen Lebens. Ich mag Physik als Beitrag zur Philosophie: Wer sind wir, und wenn ja, warum eigentlich? Was hält das Innerste zusammen und warum expandiert doch alles? Warum begann alles mit einer Inflation, was ist Raum, was ist Zeit, und was zum Teufel sollen aufgerollte Extradimensionen sein?

Ich habe viel populärwissenschaftliches Zeugs gelesen, QED von Richard Feynman, Brian Greenes Elegantes Universum und Der Stoff, aus dem der Kosmos ist, Steven Weinberg, Lisa Randall, Stephon Alexanders The Jazz of Physics und natürlich ein bisschen Hawking und Einstein und Sekundärliteratur über sie. Verstanden habe ich viel zu wenig. Aber die Faszination bleibt. Für mich bietet Physik ein wirklich attraktives Narrativ: Warum ist unsere Welt so, wie sie ist? Und was bedeutet das für uns?

Mathe auf Vorrat

Großartige Erzählungen sind das: Winzigste Strings sollen unsere Welt zum Klingen bringen in wunderbaren Harmonien, Quanten fluktuieren und können eventuell in der Zeit rückwärts reisen, miteinander verschränkte Photonen können ihren Spin durch „geisterhafte Fernwirkung“ schneller als Licht mitteilen, und überhaupt dieses seltsame Speed Limit für das Licht… Und alles das in wohldurchdachten mathematischen Formeln bewiesen – oder zumindest mathematisch vorbereitet für den Fall, dass vieles von dem, was heute immer noch kein Mensch gesehen hat, irgendwann einmal vielleicht tatsächlich doch einmal beobachtet wird.

Wenn man ohnehin keine Ahnung von den Diskussionen und mathematischen Grundlagen hat wie ich und damit noch weniger als ein Laie ist, steht man ehrfurchtsvoll vor dem Bücherregal und sagt sich: Wow, was Menschen alles ausrechnen können, wenn Sie in der Schule aufgepasst haben und was Vernünftiges studiert haben – Respekt! Ich hab in der Schule freche Antworten gegeben und beim Nachbarn abgeschrieben – kein Wunder, dass ich heute nicht in einem hübschen Forscherbüro an der kalifornischen Pazifikküste sitze und mit dem Nature-Verlag über das Honorar für meine nächste bahnbrechende Publikation verhandle, sondern mich als schwäbelnder Freelancer ohne nennenswerte Expertise verdinge – heute hier, morgen dort.

Nach unten geschlittert

Als Teenie mochte ich Physik. Was ich nicht mochte, und was mir dann schlagartig und nachhaltig die Freude an dem Fach genommen hat, war eine Aufgabe, die schlicht und ergreifend blödsinnig war. Wir sollten ausrechnen, mit welcher Geschwindigkeit ein Skifahrer unten in Chamonix ankommt, wenn er zwölf Kilometer zuvor oben auf der Spitze des Mont Blanc startet. Wir hatten fast alle Daten: Die Höhe des Mont Blanc und die Tallage Chamonix‘, die Länge der Abfahrt und die durchschnittliche Reibung von Ski auf Schnee.

Nun lernt man ja schon ganz früh in der Grundschule, dass man bei Berechnungen kurz prüfen sollte, ob das Ergebnis auch plausibel sein kann. Also, wenn ich 5 Äpfel habe und vier davon esse, dürfte der Obstkorb hinterher nicht voller sein als vorher.

Ich habe auch bei dem Skifahrer diese simple Plausibilitätsprüfung vorgenommen: Wie schnell kann man werden, wenn man Ski fährt? 100 km/h? 150 km/h? Wie schnell wird man im freien Fall? Wikipedia (was wir damals nicht nicht zu Rate ziehen konnten, leider) sagt, ein Fallschirmspringer rast, bevor er den Fallschirm öffnet, mit maximal 500 km/h auf die Erde zu. Das ist für mich, der immer nur Kleinwagen fährt, bereits unappetitlich schnell. Unser Skifahrer sollte noch schneller werden: 800 km/h… Sehr plausibel, wie ich damals fand. Nicht.

Natürlich hatten wir weder den Luftwiderstand berechnet (das hätten wir gar nicht gekonnt, weil das viel zu komplex ist) noch musste der Skifahrer auf seiner kurvenreichen Fahrt von 12 Kilometern runter nach Chamonix irgendwo bremsen. So unrealistisch fährt nicht mal James Bond Ski. Aber Unterstufen-Physikern geht das Herz auf bei dieser Berechnung der Hangabtriebskraft – und die, die eine „1“ geschrieben hatten, haben stumpf die mathematische Formel ausgefüllt, ohne die Sinnhaftigkeit, die Plausibilität zu hinterfragen. Mathematik versus Nachdenken – seitdem mag ich Physiker nicht mehr. Erscheinen mir in ihrem Denken dogmatisch, formelversessen und realitätsverweigernd.

Alles scheint möglich. Tja…

Das ist auch der Grund, warum ich all diese Dinge wie Stringtheorie oder Supersymmetrie zwar faszinierend finde, sich aber keine rechte Überzeugung einstellen will, der Groschen bei mir nicht fällt: Die Physiker berechnen Teilchen-Möglichkeiten, die noch niemand gesehen hat (und auch der LHC nicht), und sagen ihre unhinterfragbare Existenz voraus, weil es eine mögliche mathematische Lösung einer Gleichung ist? Also, alles, was mathematisch darstellbar ist, existiert demzufolge auch? Hmmm. Der alte Gag mit den vier Personen im Lift, aus dem fünf aussteigen und folglich wieder einer einsteigen muss, damit keiner drin ist – das halten Physiker für real? Multiversen – jetzt mal ehrlich?!

Ich lese gerade Sabine Hossenfelder: Das hässliche Universum. Die Frankfurter Physikerin geht genau diesen Fragen nach: Warum halten Physiker eine Welt für möglich, weil sie mathematisch schön modellierbar ist? Was, wenn sich die Natur um diese Gleichungen nicht schert? Warum findet die Experimentalphysik seit Jahrzehnten diese vorhergesagten, „voll supersymmetrischen Teilchen, ey“, nicht?

Ich bin noch nicht durch mit dem Buch. Aber irgendwie macht es „klick“ bei mir. Ich halte Euch auf dem Laufenden… 🙂

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