… und warum wir neben zusätzlichen Beatmungsplätzen auch viele zusätzliche Zuhörplätze brauchen.
Da sitzen wir nun zuhause, allemann. Und das seit Wochen. Seit Tagen wissen wir nun, dass es noch Wochen weitergehen wird. Ja, etwas abgemilderter, zunehmend, aber 2020 wird sich wahrscheinlich nie wieder so anfühlen wie ein Jahr ohne Einschränkungen.
Als Papa rechen ich damit, dass der status quo bis nach den Sommerferien (also noch 15 Wochen(!!!)) so, oder ganz ähnlich, anhalten wird.
Alles nicht so schlimm, sagen die einen. Alles sehr schlimm, sagen die anderen. In den Wochen nach dem Corona-Start macht sich zunehmend wieder eine Eigenart aller einigermaßen intelligenten Lebewesen breit: die Lagerbildung.
Da gibt es die Befürworter und die Gegner. Manche argumentieren aus wirtschaftlicher Verzweiflung für eine schnelle Aufweichung der einschränkenden Maßnahmen, andere ordnen ihr wirtschaftliches Wohl dem Gemeinwohl unter. Ganz andere ändern ihre Meinung im Takt der Bild-Zeitung.
Und dazwischen werden viele Menschen verunsichert.
Ja, es ist wichtig, dass wir weitermachen, dass wir Abstand halten, dass wir diejenigen schützen, für die Covid-19 eine Lebensbedrohung darstellt. Und zwar so lange wie es nötig ist. Wie lange das sein wird bestimmen dabei weder Facebook-Gruppen, keine Newsseiten, keine arbeitslosen Abmahnanwälte und auch nicht Else Kling von nebenan. Wie lange das sein wird bestimmt unsere Bundesregierung. Denn anders als viele Menschen proklamieren, bedeutet Demokratie nicht: „ich bestimme alles was ich will, denn ich bin das Volk.“ Demokratie bedeutet, dass wir die Möglichkeit haben unsere Vertreter selber zu wählen, sie zu überprüfen und bei Bedarf, durch demokratische Wahlen, vom Hof zu jagen. Wir haben Gerichte, vom popeligen Amtsgericht bis hin zum schillernden Bundesverfassungsgericht. Die alle können und dürfen wir anrufen – mal mit juristischer Unterstützung, mal ohne. Und in der Zwischenzeit haben wir eine gewählte Bundesregierung, die ihren Job macht. Dass sie dabei nicht 80 Millionen Menschen grundlegend zufriedenstellen kann liegt in der Natur der Sache. Das weiß jeder, der schon mal versucht hat in einem Team von fünf Leuten einen Konsens zu finden.
Auf dem Altar der Vorsicht sollten wir aber auch versuchen, dass die psychische Gesundheit nicht geopfert wird. Die Isolation geht erstmal weiter und wir müssen versuchen im Ausnahmezustand einen neuen gesunden Alltag zu etablieren. Dazu gehört auch, dass wir es uns gegenseitig zugestehen im Rahmen des Gestatteten zu denken und zu handeln. Angst ist ein schlechter Berater. Und dieser Berater macht sich gerade bei vielen Menschen breit. Angst, die darauf beruht, dass es kaum möglich ist die Flut der möglichen Informationen gewinnbringend zu filtern. Angst etwas falsch zu machen.
Wer sich jetzt völlig wegschließt, obwohl er/sie/es nicht zur Risikogruppe gehört, erzieht sich gerade selber in eine ungesunde Richtung, wird irgendwann Probleme damit bekommen wieder in Cafes zu sitzen, Hände zu schütteln, sich in Menschenmengen aufzuhalten.
Nein, das ist kein Plädoyer dafür andere zu gefährden. Es ist ein Plädoyer dafür sich, gerade jetzt, sich nicht unnötig einzugrenzen und gezielt Dinge zu finden, die die eigene Psychohygiene unterstützen. Wer jetzt selbst Wald und Wiesen meidet, dem wird irgendwann wirklich die sprichwörtliche Decke auf den Kopf fallen.
Wir müssen jetzt über Ballaballa nachdenken, denn die Corona-Situation ist eine Katalyse für psychische Probleme. Mit eingefahrenen, erlernten Lösungsstrategien lässt sich der jetzigen Zeit nicht begegnen. Niemand hat uns darauf vorbereitet monatelang gänzlich alleine, oder mit der ganzen Familie, kaserniert daheim zu sitzen. Da hilft auch manch medialer Aufruf „Seid resilient“ nichts. Manchmal geht es einem einfach schlecht. Das ist ok. Punkt. Wer jetzt behauptet, man müsse halt stark sein, der hat sich mit sich selber wohl noch nie beschäftigt – geschweige denn mit anderen.
Es geht jetzt darum aufeinander zu achten. Wir sollten uns darauf vorbereiten, dass die Zahl von psycho-sozialen Krisen in den kommenden Tagen und Wochen rapide ansteigen wird. Das liegt auch daran, dass schon zuvor psychisch erkrankte Menschen zur Zeit nicht die Betreuung erfahren, die sie gewöhlich benötigen. Und das in einer Zeit, die zusätzlich noch belastend ist. Wir, das sind wir alle, aber auch das Gesundheitssystem: Neben zusätzlichen Beatmungsplätzen müssen nun auch zusätzliche Zuhörplätze geschaffen werden.
Lasst uns weiter vorsichtig sein, aber lasst uns zunehmend auch füreinander da sein. Lasst uns eine Kultur schaffen, in der es völlig in Ordnung ist zu sagen „Mir geht es gerade nicht gut“ und lasst und ein System schaffen in dem wir uns gegenseitig zuhören. Es geht nämlich nicht um Ballaballa, es geht darum zu verstehen, dass wir alle manchmal Ballaballa sind und dann Menschen brauchen die da sind. Und das hat mit Covid-19 wenig zu tun.