Bei uns im Bekanntenkreis trennen sich gerade echt viele. Corona hat vielen Beziehungen den Rest gegeben.
So hat es mir eine Freundin vor einigen Tagen erzählt. Ist das wirklich so? Ich weiß es nicht, kann mir aber gut vorstellen, dass die letzten Monate viele Pflaster, auf zuvor nur oberflächlich verheilten Beziehungswunden, schmerzhaft abgerissen haben.
Homeoffice heißt auch dauerhaft zusammen zu hängen. Keine Hobbys mehr, die zur heilsamen räumlichen Trennung beitragen konnten. Man war auf sich zurückgeworfen.
Basierte die Beziehung bisher darauf sich erfolgreich aus dem Weg zu gehen und nur gelegentlich wohl durchchoreographierte Treffen abzuhalten, dann gab es nun viel vom anderen zu erfahren. Manchmal zu viel.
Ich staune ja immer wieder wenn Paare mir erzählen, dass sie nach zig Jahren Beziehung immer noch Hemmungen haben voreinander zu flatulieren. Ich frage mich schon immer wie das geht.
Corona, der Flatulations-Katalysator. Das Offensichtliche offenbart sich, dabei hatte man es so schön voreinander versucht zu verstecken.
Ganze Lebensentwürfe und Rollenverteilungen sind in den letzten Monaten ins Wanken geraten. Gerade Haushalte mit kleinen Kindern standen in dieser Zeit vor der Aufgabe den Alltag neu zu ordnen und die Rollenverteilung zu überprüfen.
Elternteil 1 geht morgens arbeiten, kommt abends heim und hat dann seine Ruhe. Am Wochenende geht es dann seinem Sport nach und Sonntags macht die Familie was zusammen.
Vor Corona: kein Problem, denn Elternteil 2 hatten genug Zeit zur eigenen Bedürfnisbefriedigung solange die Kinder in der Schule oder im Kindergarten waren.
Damit war urplötzlich Schluss.
Zusätzlich saß Elternteil 1 nun auch noch zu Hause rum und brauchte Ruhe, um vom heimatlichen Büro aus das Einkommen der Familie weiter zu sichern.
Klappt das? Oft nicht. Warum?
Beziehungen beruhen oftmals auf unausgesprochenen Vereinbarungen. Ich so, Du so, wir so, Du niemals dieses, ich niemals jenes… Deal? Ok!
Das war in den letzten Monaten meist nicht durchzuhalten. Corona als Beziehungskrisen-Akzelerator.
Machste nix?
Doch.
Wer das Wanken der eingeübten Verhaltensweisen als unabänderlich begreift hat wenig Chancen zu agieren, er bleibt passiv und sieht nur die Ungerechtigkeit des Unabänderlichen. Wer die Veränderung aber als Möglichkeit zur Neugestaltung sieht, hat die Chance sich und seine Beziehung neu zu erfinden.
Das ist nicht leicht. Denn es bedeutet alte Muster in Frage zu stellen und neue Brücken zu bauen. Es geht darum die eigene Kommunikation zu hinterfragen und die daraus resultierenden Verhaltensweisen innerhalb der Partnerschaft zu sezieren. Das ist nicht einfach und funktioniert nicht zwischen Tür und Angel.
Wann haben Sie das letzte Mal mit Ihrem Partner über Ihre eigenen Werte, Überzeugungen und Glaubenssätze gesprochen? Und zwar nicht im Streit, vorwürflich, sondern kooperativ und miteinander. Vielleicht sogar verabredet?
Lange nicht mehr, richtig?! Zeit für unsere Beziehung nehmen wir uns immer nur dann, wenn es unaufschiebbar wird, wenn der Druck so hoch ist, dass wir „reden müssen“. Oft ist es dann schon zu spät für ein achtsames Gespräch und wir verrennen uns in Blockadehaltungen und Vorwürfen. Bestätigt wird dann oftmals nur das schlechte Bild, das wir sowieso schon voneinander hatten.
Ich bin seit gut 10 Jahren verheiratet, mit der selben Frau, und vorher haben wir bereits vier Jahre zusammengelebt. Jeder Moment dieser 14 Jahre war schön, wertvoll und gut. Wir lieben uns noch heute wie am ersten Tag und haben quasi noch nie gestritten.
BULLSHIT.
Jede Beziehung stellt sich in unregelmäßigen Abständen selber in Frage. Diese Fragen müssen beantwortet werden. Im Gespräch, im Dialog, im Einklang. Das ist, für mich, der Sinn und Hintergrund des Begriffs Partnerschaft: man bearbeitet Themen, Herausforderungen und Probleme gemeinsam und stellt sich den Fragen, die die Beziehung an sich und der jeweils andere an mich haben – auch dann, wenn ich diese Fragen selber als gar nicht so entscheidend empfinde.
Auch die Frage „Wollen wir überhaupt noch zusammen sein?“ stellt sich ab und zu und will beantwortet werden. Bleibt die Antwort unausgesprochen entstehen emotionale Verspannungen, die Beziehung verkrampft.
Viel zu oft, so meine Beobachtung, stellen sich Paare diese entscheidende Frage gar nicht. Alleine aus einem Grund: der Angst vor der Antwort.
Würde die aber wirklich so oft so schlecht ausfallen?
Ich bin der festen Überzeugung: nein.
Denn wer sich miteinander beschäftigt, sich auch vor den intimsten Fragen nicht scheut, der hat genau das was es zu Glück braucht: Vertrauen und den Fokus auf der Beziehung.
Corona ist die Schwierigkeit unserer jetzigen Zeit. Die Herausforderungen in Beziehungen werden bleiben, noch für viele Monate. Gleichzeitig ist niemand hilflos. Wer die Chance ergreift, die gerade durch äußere Umstände an uns herangetragen wird, für den birgt Corona die Chance auf einen positiven Neustart der eigenen Beziehung.
Wer die Chance verstreichen lässt wird die zahllosen unbeantworteten Fragen zunehmend als Bedrückung empfinden und kapitulieren.