Anfang 2013: Ich werde bald Vater sein. Mein Plan: ein paar Wochen wird das Kind im elterlichen Schlafzimmer campieren dürfen. Danach zieht es in sein eigenes Bett und Zimmer um.
Intermezzo: Seither habe ich nie mehr ohne Kind an meiner Seite geschlafen.
Heute: ich berichte der Mama eines Kindergartenkumpels meines inzwischen zweitgeborenen Kindes, dass ich den Satz „Ich will nicht ins Bett“ noch nie gehört habe.
Was ist passiert?
Kinderschlaf ist ein großes Thema. Ganze Regalwände kann man mit Schlafratgebern für kleine Heranwachsende füllen.
Mein Plan war einfacher. Das Kind muss alleine schlafen. Hab ich ja auch gemacht. (Gerne? Das weiß ich bis heute nicht.) Ich habe nicht vor mein Ehebett zu einem Familienbett umzufunktionieren. Etwa ein halbes Jahr nach der Geburt meines ersten Kindes war dieser Traum geplatzt.
Stufe 2: Schlafratgeber-Bestseller. Kind quittiert die Methode mit Geschrei bis zum Kotzen – und das nicht im sprichwörtlichen Sinne.
Traum abermals geplatzt. Buch im Müll.
Meine Kinder schlafen bis heute in elterlicher Nähe. Das führt zu raschem ein- und gutem Durchschlafen. Alles anders als geplant und gedacht und so langsam akzeptiere ich, dass diese Methode – zwangserfunden von meiner Frau, weil ich die ersten zwei Jahre nach der Geburt von Kind 2 nur 1/3 der Woche zuhause was – funktioniert und gut ist.
Unsere Kinder gehen gerne schlafen, sie mögen das Bett und alles was damit verbunden ist. K2 hat mit drei Jahren angefangen, abends, wenn er müde ist, zu sagen, dass er jetzt gerne ins Bett möchte.
Mich nervt das „begleitete Schlafen“ manchmal, gleichzeitig finde ich es großartig, dass wir dieses große Thema vieler Haushalte mit Kindern nicht haben.
Bis zu meinen eigenen Erfahrungen war mir klar: Kinder schlafen alleine. So rasch wie möglich. Das ist der natürliche Lauf der Dinge, quasi vom Universum so vorgesehen.
Dann habe ich angefangen nachzudenken. Gehöre ich nicht eigentlich zur ersten Generation überhaupt die alleine schlafen durfte/konnte/musste. Zur ersten Generation in der Geschichte der Menschheit… vielleicht!?
Ich gehöre zur ersten Generation, in der es en vogue war weniger als zwei Kinder zu haben. Darüber hinaus war es, durch die Pille, nun technisch auch möglich. Keine geschwisterliche Schlafbegleitung mehr. Zusätzlich stiegt das durchschnittliche Haushaltseinkommen, der Kohle für individuelle Kinderzimmer war plötzlich da:
In den Generationen davor führten Kinderüberfluss und Platzmangel dazu, dass Alleineschlafen schlicht nicht machbar war.
Noch viel früher wäre es fahrlässig gewesen die eigenen Kinder nachts nicht eng bei sich zu haben. Eine eigene Höhle für die Kinder hätte wohl schnell zur Dezimierung der Familiengröße geführt.
Definieren wir das Verhalten höher entwickelten Tiere als Vorstufe unseres eigenen Verhaltens, so beobachten wir, dass Tiere ihren Nachwuchs wahlweise bei sich tragen oder direkt neben ihnen schlafen.
Wir dagegen separieren unsere Kinder und bezeichnen das als Fortschritt.
Gleichzeitig ärgern wir uns, dass es meist nicht funktioniert – oder Jahre dauert – bis man das anvisierte Ziel des Alleineschlafens erreicht hat. Das liegt dann meist nicht an dem letztendlichen Erfolg der Erziehungsratgeber, sondern an der natürlichen Entwicklung des Kindes. Irgendwann wird jedes Kind zum Nestflüchter.
Elterliche Nähe beim Schlafen vermittelt Schutz und Wärme, Sicherheit und die Gewissheit, dass jemand da ist. Sie befreit von der Sorge einen Weg zwischen sich und den beschützenden Eltern zu haben und dem Gefühl Mama und Papa durch die Flucht ins Elternbett zu stören.
Auch mit Kind bleibt man Individuum und Paar, jedoch kommt die Rolle als Elternteil hinzu.
Wer lange Single war, sich dann in einer Beziehung wiederfindet, muss den Schlaf ohne jede Störung aufgeben und sich damit abfinden sein Bett nun zu teilen – zu Beginn der Beziehung vielleicht sogar die Bettdecke. Das ändert sich meinst aber rasch.
Wer Kinder bekommt darf akzeptieren, dass nun ein Schlafanfänger eingezogen ist und es eine tolle Aufgabe ist, den neuen Menschen auf dem Weg zum entspannten Schläfer zu begleiten.
Elterliche Nähe in der Nacht fördert beruhigenden Schlaf und schafft für Kinder einen Ausgleich zu ihren aufregenden Tagen voller Lernerfahrungen.
Genuch gelabert. Die „Methode“ im einzelnen. Ich nenne sie einfach mal „Balu“-Methode. Warum? Das erklärt sich gleich.
- Feste Schlafenszeiten.
Die Kinderwelt ist unsicher. Nicht wegen Monstern, Hexen oder Räubern (die ersten beiden Kategorien gibt es ja noch nicht mal), sondern weil Kinder ständig neues lernen. Geben Sie ihrem Kind daher einen Rahmen vor – das schafft Sicherheit und Vertrauen. Dazu gehört auch den Tag so zu strukturieren, dass das Schlafengehen keine Überraschung darstellt und für immer wiederkehrenden Diskussionsbedarf sorgt. Die Tatsache, dass es bald ins Bett geht sollte für das Kind spürbar sein. Entspannende Rituale können ein Weg dahin sein. Etwa das Anziehen des weichen Schlafanzugs, schon längere Zeit vor dem Zubettgehen, können die nahende Schlafenszeit liebevoll einläuten und stellt so die innere Uhr des Kindes auf Entspannung.
Ein Kind aus dem Spiel reißen, „So, hopphopp, jetzt ab ins Bett“, führt unweigerlich zu Ablehnung. - Nehmen Sie sich Zeit.
Im Schweinsgalopp zum schnellen und ruhigen Schlaf. Vergessen Sie´s. Bei uns dauert das Insbettbringen etwa eine Stunde. Planen Sie diese Zeit als festen Termin ein, dann nervt es viel weniger und man erlebt keine Überraschungen. Diese Stunde kann auch für das EvD (Elternteil vom Dienst) eine Quelle der Ruhe und Entspannung sein. Grundvoraussetzung: man nimmt sich die Zeit und verabschiedet sich von den „Eigentlich müsste/könnte ich noch dieses und jenes machen“-Gedanken. Bei uns ist zwischen 19 und 20 Uhr Insbettgeh-Zeit. In dieser Stunde fährt das System Familie runter, wird im Bett gekuschelt, gelesen, gesprochen und eingeschlafen. Diese Stunde ist reserviert, ein fester Termin. - Keine Zeit mehr für Aufregung.
Kinder leben im Hier und Jetzt. Sie machen sich weniger Gedanken um das was vor einigen Stunden war und verarbeiten das, was jetzt gerade ansteht. Das gilt auch für die abendliche Literatur. Wer hier noch von bösen Hexen, Feen oder Kriminalfällen hört, wird diese Gedanken in den Einschlafprozess integrieren – oder gucken Sie direkt vor dem Einschlafen noch einen krassen Horrorfilm?
Ich habe gute Erfahrungen mit Büchern gemacht, bei denen es nicht mehr darum geht eine Geschichte verfolgen zu müssen. Dazu gehören Bilderbücher die zum Dialog anregen, oder, bei älteren Kindern, Wissensbücher ohne aufreibende Handlung.
Nochmal eben einen Grimm vorm Schlafengehen? Spannend. Aber der Versuch einzuschlafen wird´s dadurch auch. - Zeit für einen Blick auf den Tag.
Jeder Tag ist spannend. Egal wie langweilig er uns Erwachsenen vielleicht erschien. Nun endet der Tag, vielleicht ist das Licht schon aus. Zeit für einen gemeinsamen Moment der Achtsamkeit und Reflexion. Hört sich hochtrabend an, kann aber jedes Kind, das einigermaßen sicher kurze Sätze formulieren kann.
„Erzähl mal, was war an Deinem Tag heute schön? Was war vielleicht nicht so schön? Auf was freust Du Dich morgen?“
Die Dunkelheit erweitert die Stimmung und es kann zu beruhigenden und vertrauensstiftenden Gesprächen kommen. Es gibt einen Raum, um den Tag abzuschließen und auf alles zu gucken was war. Gleichzeitig wird die Dunkelheit nicht mit Alleinesein attribuiert, mit Ruhe, Ende und Schluss. Durch den gemeinsamen Blick auf den Tag, wenn das Licht schon aus ist, wird Dunkelheit zu einem wohligen Moment in dem noch etwas positives stattfindet. Ganz ruhig und entspannt.
Auch als Eltern sollten Sie sich daran beteiligen, das schafft eine Wertigkeit für die Sache an sich und was Mama und Papa machen ist für Kinder ja per se erstmal gut. - Nähe
Wie eine gut erzählte Geschichte hat Ihr ganzes Tun dazu geführt, dass nun automatisch Ruhe eingekehrt ist. In den Schritten 1 bis 4 gab es auch Platz für „nochmal etwas trinken“ oder zum letzten Klobesuch des Tages. Jetzt ist Zeit für Ruhe und Nähe, die Sie als erwachsener Teil des Teams auch einfordern können. Sie sind da, alles ist gut. Und jetzt ist Schluss.
Nach den Schritten 1 bis 4 akzeptieren Kinder diese Tatsache sehr leicht, denn nichts fehlt mehr – „Ich konnte noch alles sagen, Mama oder Papa sind da, sie bleiben da und ich kann jetzt in Ruhe einschlafen“. 5 Minuten später gehen Sie leise aus dem Zimmer. Das Kind schläft.
Das alles ist nicht umsonst.
Preis: Das Kind steht im Mittelpunkt, nicht die Bedürfnisse der Eltern nach Autonomie. Das wiederum führt dazu, dass Eltern mehr Zeit für Ihre Bedürfnisse haben, denn die Abendgestaltung wird planbarer und vorhersehbar. Quid pro quo.
In ein paar Jahren wird es die Möglichkeit die Kinder ins Bett zu bringen nicht mehr geben. Sie werden es nicht mehr wollen, es ablehnen. Das ist ok, das ist der Lauf der Dinge. Bis dahin freue ich mich darauf sie noch viele Abende begleiten zu dürfen.
Ihnen allen ein gutes und entspanntes Einschlafen!