(Eine Hörversion dieses Artikels finden Sie unter dem Text!)
Ich stehe in 36 Metern Höhe auf einer vielleicht zwei mal zwei Meter großen Plattform. Um mich und meinen Begleiter herum eröffnet sich ein grandioser Blick auf die Stadt, in der während des zweiten Weltkrieges kaum etwas zerstört wurde.
„Die Dächer, die Du hier auf den alten Häusern siehst, sind quasi für die Ewigkeit gemacht. Die halten, mit ein paar Flickarbeiten, manchmal 100 Jahre und länger.“, erläutert mein Begleiter, ein versierter Bauleiter und Sachverständiger im Bereich des Bauens. „Auch die Häuser da drüber“, er deutet auf einige Häuser aus den 1920 bis 40er Jahren, „kannst Du noch über Generationen weitervererben. Und das Zeugs, das wir heute bauen, kannst Du nach 30 Jahren direkt abreißen, da gibt´s dann nichts mehr zu reparieren. Zumindest nicht wenn es wirtschaftlich sein soll.“
„Warum ist das so?“ frage ich neugierig.
„Weil wir heute nicht mehr für Menschen bauen, sondern für Investoren. Was meinst Du warum die alten Häuser hier um uns herum so viele Ornamente und sonstige Schnörkel an der Fassade haben? Weil die Bauherren damals bereit waren in Schönheit und Schmuck zu investieren. Eine Funktion hat das ja alles nicht.
Dazu kommt, dass es damals darum ging möglichst wertig und beständig zu bauen. Heute geht´s um schnell und billig.“
Mit einem Satz: Wir bauen heute Schrott.
Diese Episode ereignete sich im Sommer 2016 auf einem Baukran. Und, sicher, die Meinung meines Begleiters ist nur eine von sehr vielen und es mag viele Menschen im Baugewerbe geben, die mit fundierten Argumenten belegt können, warum es anders ist.
Dennoch haben mich diese Worte in großer Höhe bis heute begleitet und gefühlt bestätigen sie sich mit jeder Neubausiedlung an der ich vorbeikomme.
Dort stehen sie, mal in Reihe, mal im Kreis, mal im Viereck angeordnet: die Neubauträume der oberen Mittelschicht.
Ich ahne wie es innen aussieht.
Reinkommen. An einer Seite das Gäste-WC, gegenüber der Aufgang nach oben, geradeaus der Wohn- und Essbereich, hinten durch der Zugang zum Gärtchen.
Meist ordnen sich über das Erdgeschoss noch zwei weitere Etagen. Um teure Grundfläche zu sparen wird in die Höhe gebaut. Alles zusammen addiert sich dann auf gute 160 Quadratmeter. Je nach übrig gebliebenem Geld wird dann mit Einrichtungsgegenständen von IKEA oder aus dem Wohnstudio individualisiert.
Weil das teuerste am Bauen das Grundstück ist, steht das Häuschen auf einem Grundstück, das nicht viel größer ist als die Grundfläche des Hauses selbst. Dazu kommen dann noch die Garage, das obligatorische Trampolin und das Klettergerüst. Irgendwo ist dann noch Platz für den Weber-Grill und schon ist der ganze Besitz vollgestellt.
Der Kauf wird dann mit den historisch niedrigen Zinsen begründet und dabei unterschlagen, dass die niedrigen Zinsen längst durch die hohen Bau- und Kaufkosten aufgewogen werden. Dazu kommt die Bauphase, die selten wie am Schnürchen klappt, oft weitere Kosten nach sich zieht und Lebenszeit frisst wie Pac-Man Kraftpillen.
So entstehen, Wiese für Wiese, Acker für Acker, Wohnanlagen deren Zukunft ungewiss ist.
Ungewiss?
Nun, diese Siedlungen werden von Meschen erstellt und bezogen, die sich jeweils in einer sehr ähnlichen Situation befinden. Irgendwo zwischen 30 und 40, kleinere Kinder und dem damit verbundenen Wunsch in einer nicht allzu kinderfeindlichen Umgebung zu leben. Geld ist da. Aber nicht so viel, als dass man sich alles leisten könnte. Daher werden Abstriche gemacht. Bei der Grundstücksgröße zum Beispiel oder bei dem Anspruch möglichst hochwertig zu bauen. Und Zeit sich dem Projekt allzu lange zu widmen ist auch nicht da. Immerhin ist man ja beruflich eingespannt und muss sehen, dass man weiterkommt.
In etwa 20 Jahren sind, bis auf ein paar Nachzügler, alle Kinder der Neubausiedlung aus dem Haus – während die Bankraten noch ein paar Jahre bleiben. Die Nachbarschaft ist gemeinsam gealtert und, seit die Kinder als kommunikative Verknüpfung fehlen, hat man sich auch nicht mehr allzu viel zu sagen. Reparaturen stehen an, denn in den letzten 20 Jahren sind nicht nur die Bewohner des Hauses gealtert. Außerdem wird der verfügbare Platz, jetzt wo die Kinder weg sind, zu viel. Die ersten ziehen weg, der Rest vergreist langsam.
Ein attraktives Umfeld für neue junge Familien? Das mag jeder für sich beurteilen.
Neben den Kindern wächst noch etwas stetig: die Sichtschutze zwischen den Gärten. Irgendwann hat man nämlich festgestellt, nach der ersten Euphorie über das neue Umfeld, dass zu viel Nähe doch nichts ist und dass die Nachbarn links und rechts auch nur Menschen sind. Manche von denen mag man, manche nicht. Eigentlich lebt man wie in einer Mietskaserne, zumindest was die räumliche Nähe angeht. Koniferen müssen her, Privatsphäre ist wichtig.
Fördert eine solche Umgebung Glück und Zufriedenheit? Ich gönne es jedem, kenne jedoch wenige Menschen, die schwärmerisch vom Leben in der Neubausiedlung sprechen. Im Idealfall herrscht eine berufsmäßiges Gefallen.
Die Art und Weise, wie wir heute bauen und wohnen, entspricht oft dem aus Baustoffen entstandenem Gegenteil von Achtsamkeit und einem Leben im Hier und Jetzt. Statt naturnaher Formen ähnelt das Zuhause vieler Häuslebauer dem feuchten Traum eines von Geometrie besessenen Oberstufenschülers, dessen Aufgabe es ist möglichst viele Vierecke auf einer vorgegebenen Fläche unter zu bekommen.
Effizienz wird zum Ziel erklärt und sie prägt zwangsläufig den Lebensstil der Meschen, die darin leben. Kunsthistorisch wird man unsere Zeit vielleicht mal als die Zeit des Rationalismus bezeichnen. Eine Zeit, in der es keinen Platz für Emotionen im Wohnstil gab. Dafür dominierten quadratische Häuser, glatte Flächen und unverputzte Wände.
Teils kann man heute den Eindruck gewinnen, als ob wir gar nicht für uns als Mensch-, sondern für einen Lebensabschnitt bauen. Einen Abschnitt, von dem wir wissen, dass er enden wird und wir uns deshalb gar nicht allzu sehr an ihn binden wollen. Vielen Umfragen nach wollen die meisten von uns ein Leben auf dem Land führen und verbringen den überwiegenden Teil unseres Erwachsenenlebens doch im Gegenteil. Irgendwie scheint es, als überbrückte eine ganze Generation ihre eigentlichen Wohnwünsche in der diffusen Hoffnung auf das „Danach“. So wie jemand, der sein gesamtes Berufsleben auf die Rente hinfiebert, um dann dort all seine Wünsche zu erfüllen. Rente da. Gesundheit weg. Mancher stirbt sogar so früh, dass nichts mehr von der langen Bucketlist abgearbeitet erden kann.
„Wohnst Du noch, oder lebst Du schon?“
Was macht das mit uns?
Ich weiß es nicht, beobachte aber, dass meine Generation (ich bin Jahrgang ´81) nicht von allzu großer Zufriedenheit geprägt ist. Sicherlich, das liegt nicht alleine in der Wohnsituation begründet. Manchmal frage ich mich sogar was zuerst da war!? Führt die unzufriedene Lebensführung zum Haus oder das Haus zur Lebensführung?
Ich möchte mit diesem Artikel nichts generalisieren und freue mich über jeden, der sich in seiner Neubausiedlung kurz- und langfristig wirklich wohl und heimisch fühlt. Ich gönne jedem Menschen sein und ihr individuelles Glück.
Nur meine Beobachtungen decken sich eben nicht mit diesem Wunsch. Zu oft höre ich die Aussage: „Ach, hätten wir das mal gelassen. Eigentlich wollte ich genau so nie wohnen und jetzt tu´ich es!“
Meines Erachtens lösen viele unserer modernen Wohnformen Stress aus. Zur finanziellen Belastung gesellt sich eine Umgebung, die wenig Natur und wenig fürs Auge bietet. Genauso wie die neu einziehenden Kinder sind auch die Bäume und Pflanzen noch klein, dafür die Erdhügel groß. Alles zusammen ergibt eine mondartige Landschaft, und das oft über Jahre. Und wenn das eigene Grundstück endlich etwas fröhlicher erscheint, beginnt der Aushub beim Nachbarn – eine neue Mondlandschaft entsteht. Die Knappheit an positiven optischen Reizen kann erwiesenermaßen Stress auslösen und sich negativ aus auf unsere Gesundheit auswirken. Ein Tag im Wald senkt nachweislich den Adrenalingehalt im Urin von Probanden um 30%, wirkt also Stress entgegen (vgl dazu zum Beispiel Friedmann, 2018, „Die Heilkraft des Waldes“). Halten wir uns in einer dem Wald diametralen Umgebung auf, so ist davon auszugehen, dass auch der Effekt auf uns der Gegenteilige ist.
Am Haus ist alles da, meist funktionell und frei von fröhlichkeitsauslösenden Details. Es herrscht kein Mangel, zumindest nicht emotional.
Doch genau dieses emotionale Zuwenig beeinflusst uns im täglichen Sein. Wenn alles um uns herum funktional ist, dann drohen auch wir in einen Modus zu rutschen nur funktionieren zu müssen.
Nur?
Ja, nur. Denn Funktion ist nicht alles. Reine Funktion belastet, denn sie erinnert uns an Momente in denen dieser Aspekt im Vordergrund steht: nämlich in Stresssituationen. In denen funktionieren wir. Fast ausschließlich.
Die Hausarbeit muss übermorgen abgegeben werden. Funktion an.
Ein Verwandter ist gestorben und die Beerdigung muss organisiert werden. Funktion an.
Montag morgen, die Brote müssen geschmiert werden und die Kinder pünktlich aus dem Haus. Funktion an.
Bewegen wir uns ständig in einem solchen Modus, drohen wir unter Stress zu leiden oder langfristig auszubrennen. Der Wohn- und Lebensraum, den wir uns schaffen, ist daher manchmal aus Beton geformter Stress und wir drohen trotz Übermaß zu verkümmern.
Offensichtlich ist alles da, oft sogar mehrfach – wie zum Beispiel die Doppelgarage. Innen drin herrscht emotionale Leere.
Dem gegenüber stehen Regalwände in Zeitungsläden, die sich zunehmend mit hyggen Magazinen füllen die Happinez versprechen. Wir lesen Wald-Magazine und Bücher über die Sprache der Bäume. Es herrscht ein offensichtlicher Wunsch nach Natürlichkeit, Luft und Raum. (Andernfalls würden Verlage diese Magazine nicht an den Start bringen.)
Woher stammt die Sehnsucht nach dem einen und das Leben im anderen?
Auch das weiß ich nicht, meine aber einen Wunsch nach Wandel zu bemerken. Für die Wertbeständigkeit des aktuellen Neubausiedlungs-Neubauten ist das keine gute Nachricht. Ich kann mir vorstellen, dass die Generation meiner Kinder andere Wohn- und Bauformen favorisieren wird. Nachhaltiger, schmuckvoller, gesünder, emotionaler und näher am Menschen.
Wir, denen es gut geht, bemerken zunehmend, dass wir fast alles haben können, dabei aber eine Sache oft vergessen: uns und die Tatsache, dass es keine Garantie für ein Morgen gibt. Wer heute funktional-rationalistisch lebt, weil es nun mal gerade am praktischsten ist, wird morgen vielleicht schon keine Zeit mehr für Emotionen haben. Diese Tatsache dringt gerade an die Oberfläche unserer Gesellschaft. Und das ist auch gut so.
Hoffen wir, dass auch eine Generation von Architekten entstehen wird, die wieder den Menschen- und nicht die Effizienz ihres Tuns in den Vordergrund stellt. Ein paar Semester Soziologie und Psychologie würden im Architekturstudium sicher niemandem schaden.