Dicht machen wollen sie alles, die Dichterinnen und Dichter darstellender Kunst. Nicht ganz dicht seien sie, sagt ihr Publikum. 50 Videos mit fragwürdiger Aussage, satirisch oder ernstgemeint – und die Republik diskutiert sich die Köpfe heiß über eine Agenda, die die Schauspielerinnen und Schauspieler uns aufs Auge gedrückt.

Nun könnte man sagen: Betrifft mich ja nicht. Ich Kulturbanause kenne von den über 50 Schauspielerinnen und Schauspielern nur eine Handvoll, und auch diese nur aus dem Fernsehen. Wo sie halt Rollen spielen, in andere Charaktere schlüpfen, „Masken tragen“. Persönlich kenne ich sie nicht. Aber: Sie kritteln an der Pandemie herum. So, wie wir alle etwas auszusetzen haben an dieser Situation – wäre ja seltsam, wenn nicht.

Doch nun haben uns die 50 Mimen und Miminnen ein Stöckchen hingehalten, über das wir nun die nächsten drei Tage werden springen müssen. Einfach, weil sie als prominente Personen zu bekannt, zu relevant und zu einflussreich sind. Was diese 50 sagen und denken, meinen und schwurbeln – daran kann die Republik nicht vorbei. Sie bestimmen heute und morgen den öffentlichen Diskurs, die öffentliche Debatte. Sie haben ihr Thema auf die Tagesordnung gesetzt, und wir müssen uns nun alle dazu verhalten.

Sie haben eben nicht dicht gemacht. Sie haben aufgemacht. Die Debatte über Für und Wider politischer Entscheidungen, sinnvolle und nicht sinnvolle Schutzmaßnahmen, über Satire, Zynismus und die Macht öffentlicher Figuren, wie sie selber welche sind. Sie haben Agenda Setting betrieben – und das ist das, was mich an dieser Kampagne interessiert.

Was ist Agenda Setting?

Agenda Setting heißt, Themen in die öffentliche Debatte zu bringen, die „Tagesordnung zu bestimmen“. Dabei kommt Menschen, die das tun möchten, eine Tatsache zupass: Massenmedien und soziale Medien gleichermaßen können die Realität niemals vollständig abbilden. Es passiert einfach viel zu viel, daher müssen sie gezielt auswählen, worüber sie berichten. Wie Medien die Themen platzieren und wie häufig und wie umfangreich sie berichten, weist diesen Themen „Wichtigkeit“ zu. Der Hashtag trendet? Die Timeline ist voll mit Beiträgen zu diesem Thema? Scheint wohl wichtig zu sein, oder?

Weil unterschiedliche Medien aber ähnliche Kriterien anlegen, entscheiden sie sich auch für ähnliche Themen (Konsistenz). Themen, die häufig in den Medien vorkommen, werden so als relevant und wichtig empfunden. Das Publikum übernimmt sie. Mir persönlich war bislang völlig wurscht, was Heike Makatsch oder Jan Joseph Liefers privat so denken. Ich bin nicht nachts aufgewacht und habe gedacht: Oh, was denkt eigentlich Ulrich Tukur über die Erhöhung meines Telefontarifs? Und Ulrike Folkerts über meinen platten Fahrradreifen? Nun aber äußern sich 50 Promis zu einem Thema – und plötzlich interessiert mich das doch.

Das Publikum erhält dafür auch eine „Belohnung“: Es kann mitreden (Soziale Integration) und hat das gute Gefühl, mehr oder weniger Bescheid zu wissen (Kontrolle der Umwelt). Und daher äußern wir uns alle dazu. Wir fühlen uns aufgefordert, mitzureden und zeigen allen anderen, dass wir ebenfalls eine Meinung haben dazu.

Das Agenda Setting funktioniert grandios.

Drei Arten von Agenda Setting

Werden wir etwas theoretischer. Es gibt mindestens drei Möglichkeiten, wie es Themen in die Öffentlichkeit schaffen können:

  • Aufmerksamkeitsmodell (engl. awareness model): Das Publikum wird erst über die Medien auf Themen aufmerksam, die dort besonders betont werden.
  • Hervorhebungsmodell (engl. salience model): Medien schenken bestimmten Themen größere Beachtung und berichten häufiger über sie, das Publikum hält sie für wichtiger.
  • Themenselektionsmodell (engl. priorities model): Rangfolge der Themen entsteht durch die Medien, das Publikum übernimmt diese Rangfolge 1:1.

Themenkarriere

Und diese Themen entstehen zuerst weitgehend unbemerkt, werden dann aus verschiedenen Gründen plötzlich oder stetig immer „aktueller“ und schließlich eventuell sogar zum Trend, ehe sie dann plötzlich wieder verschwinden oder kontinuierlich „blasser“ werden.

  • Latente Phase: Ein Thema wird nur unter Insidern diskutiert. Für die öffentliche Meinung fehlt es noch an Anknüpfungspunkten – das Thema ist noch zu „speziell“.
  • Durchbruchphase: Das Thema stößt plötzlich auf Interesse bei Menschen, die eine höhere Reichweite haben (Multiplikatoren). Sie bringen das Thema in die öffentliche Debatte und legen so den Grundstein für das öffentliche Interesse.
  • Modephase: Das Thema gewinnt an Popularität und Resonanz – nun reden fast alle darüber. Und weil fast alle darüber reden, gibt es dem öffentlichen Diskurs Struktur: es bestimmt die „Tagesordnung“. Das Ziel des Agenda Settings“ ist erreicht.
  • Ermüdungserscheinungen: Jedes Thema verliert aber nach einiger gewissen Zeit auch wieder an Attraktivität für öffentliche Devbatten – wir sind es irgendwann einfach leid und müde, wieder und wieder über dieses Thema zu reden.

Methoden

Es gibt selbstverständlich unzählige Methoden, wie Menschen auf ein Thema aufmerksam gemacht und von ihm überzeugt werden können – harmlose wie teuflische. Es gibt psychologisch-natürliche wie Framing und Priming, welche, bei denen wir freiwillig mitmachen wie etwa Nudging – und völlig unappetitliche wie Negative Campaigning und der Versuch, das Overton-Window des Sagbaren in immer extremere Richtungen zu verschieben. Diese fünf Beispiele möchte ich hier völlig verkürzt kurz vorstellen.

Medien lenken die Aufmerksamkeit durch Selektion, Hervorhebung und Auslassung auf bestimmte Themen. Dadurch geben sie den Informationen einen bestimmten Rahmen (Framing). Bereits länger bekannte Informationen rücken im Gedächtnis des Publikums wieder an die erste Stelle (Priming).

Framing

Framing setzt einen „Denkrahmen“ über Assoziationen, Begriffe, Gefühle, Musik, Farben und vieles andere mehr. Dieser Rahmen bestimmt dann, wie wir über das ganze Thema denken, was wir dabei fühlen, wie wir es bewerten.

Fakten werden für uns Menschen erst über Frames greifbar. Ohne Frames sind Fakten bedeutungslos. Frames sind beispielsweise sprachliche Rahmen. Sie geben einer Information, einer Zahl, einem Fakt, einem Motiv erst einen Sinn, sie ordnen die Welt. Die Debatte um gendergerechte Sprache hat selbstverständlich einen Framing-Aspekt. 2019 hat das „Framing Manual der ARD“ für Schlagzeilen gesorgt.

Priming

Als Priming-Effekt wird in der Psychologie das Vorbereiten eines Reiz-Reaktions-Schema bezeichnet, wobei der Eingangsreiz bestimmte Assoziationen und Reaktionen zur Folge hat. Priming kann mit „Bahnung” oder „Vorbereitung“ übersetzt werden.

Durch Priming lässt sich beispielsweise die eigene Leistung steigern: Wer an den eigenen Erfolg glaubt, erreicht mehr. Aber auch die Filterblase, in der wir alle stecken, ist Priming: Durch die Auswahl unserer Informationsquellen und die permanente Wiederholung derselben Botschaften werden unsere Einstellung, unser Weltbild und unser Verhalten verändert.

Beim affektiven Priming werden Gefühlszustände aktiviert: Musik oder Bilder wecken starke emotionale Erinnerungen, deren „primenden“ Reiz wir auf eine unabhängige Situation übertragen.

Nudging

Nudging (anregen, lenken, formen) will das Verhalten von Menschen auf vorhersagbare Weise beeinflussen, ohne dabei zu verbieten. Man gibt Menschen einfach einen kleinen „Schubs“ in die gewünschte Richtung.

Studierende essen zu wenig Obst und Gemüse? Dann platziert man es in der Mensa auf Augenhöhe. Menschen hören nicht auf zu rauchen? Dann platziert man Warnhinweisen auf Schachteln, um den Konsum zu senken.

Kunden werden mit hilfreichen Informationen (Nudges) versorgt, damit sie eine freie und kluge Kaufentscheidung treffen können. Dadurch entsteht Involvement und intrinsische Motivation bei den Konsumenten. Auch beim Content-Marketing und Storytelling sind solche Ansätze zur Sensibilisierung und zum sanften, edukativen Anstupsen von Kaufentscheidungen enthalten.

https://youtube.com/watch?v=1A-YAVMY3wM

Aber es gibt eben auch die teuflischeren Methoden.

Overton Fenster

Es gibt Dinge, die sind „common sense“. Andere gelten als progressiv, wieder andere sind etwas konservativer grundiert. Meinungen, die die aktuelle Politik eines Staates repräsentieren, befinden sich im „Overton-Fenster“ nach Joseph P. Overton (1960–2003).

Meinungen, die nicht von der aktuellen Politik repräsentiert werden, können aber trotzdem als vernünftig und akzeptabel gelten. Diese befinden sich aber außerhalb dieses Overton-Fensters.

Overton-Window. Grafik: Ille

Das Bestreben von Meinungsführern ist nun, dieses Overton-Fenster des – aus ihrer Sicht! – doch durchaus Vernünftigen, Akzeptablen und Sagbaren in ihre Richtung zu verschieben Das Ziel dieser Meinungsführer: Aus bisher undenkbaren Ansichten nun akzeptierte Ansichten zu machen.

Negative Campaigning

Negative Campaigning hat sich besonders in den USA in der politischen Auseinandersetzung verbreitet, gibt es aber auch in Europa („Schmutzkübelkampagnen“ in Österreich). Dabei werden politische Gegner in ein schlechtes Licht gerückt, damit das eigene Ansehen steigt. Private, aber auch öffentliche oder geschäftliche Verfehlungen werden skandalisiert, um den Gegnern zu schaden. Und wenn sich keine solchen Verfehlungen finden lassen, dann werden eben welche erfunden…

Negative Campaigning funktioniert nicht über sachliche Argumente, sondern über persönliche Herabsetzung, Verleumdung, Beleidigung des Gegners. Besonders krasses Beispiel sind die Finkelstein-Kampagnen gegen den Multimilliardär George Soros.

Und was bleibt nun hängen?

Die 50 „Satirikerinnen und Satiriker“ haben genau das geschafft, was sie wollten: Sie haben uns ihre Nörglerei als Debattenthema auf den Stundenplan gepinnt. Sie haben uns ein ToDo eingeschenkt, das wir bearbeiten müssen – ob wir wollen oder nicht Das entscheiden nämlich nicht mehr wir, das entscheiden sie. Dazu ist ihre Prominenz, ihr Eunfluss, ihr Vorbildcharakter zu groß und dazu ist das Thema zu schnell von vielen aufgenommen und analysiert und kritisiert worden.

Sie haben einen Aufschlag gemacht, den wir alle nun retournieren müssen – ob wir wollen oder nicht. Und das ist das perfide an dieser Kampagne.

Literaturhinweise:

  • Uli Gleich: Agenda Setting in der digitalen Medienwelt, in Media Perspektiven 3/2019, S. 126ff.
  • Patrick Rössler: Thematisierung und Issues Framing, in: Fröhlich, Szyszka, Bentele (hg.): Handbuch der Public Relations, S. 461-478, S. 463.

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