Wie Ihr vielleicht wisst, war ich mal für 48 Stunden Exekutivmitglied der Welt-e-Government-Organisation WeGo in Seoul. Als Vertreter der damaligen Frankfurter Oberbürgermeisterin Petra Roth und damit quasi als „Stimme der Bundesrepublik“ habe ich mit einer Vertreterin aus Nairobi, einem aus Sao Paulo und aus Lyon, aus Bejing und Katar an der Satzung für die weltumspannende e-Government-Organisation mitgeschrieben. Ubiquitous und Smart City, digitale Behördengänge, Datenschutz und Datenschatz – ich habe ein bisschen Einblick in das, was möglich ist und möglich sein könnte sowie in das, was weltweit passiert. Ein bisschen nur, viel zu wenig natürlich. Aber immerhin.

Das war im Juni vor zehn Jahren. Also im digitalen Altertum. Mein Flieger von FRA nach Seoul stand am 6. Juni direkt neben dem nagelneuen A380, der die Fußball-Nationalmannschaft nur wenige Minuten später zur WM nach Südafrika brachte. Ein denkwürdiger, historischer Tag. Als wäre es gestern gewesen.

Womit ich bei meinem Thema bin: der Digitalisierung von Behördengängen in Deutschland zu Beginn des dritten Jahrzehnts des dritten Jahrtausends. Auch das ist heute noch so, als wäre 2010 erst gestern gewesen. Ich möchte dabei nicht in dieses allgemeine Gezeter einstimmen, das man überall (zu Recht!) hört: Wie schlecht der Breitbandausbau vor allem auf dem Land sei, wie sehr Deutschland und Europa bei digitalen Services hinterherhinkten, wie kompliziert bis unmöglich digitale Standard-Verwaltungsprozeduren hierzulande seien.

Ich möchte es an einem konkreten Beispiel zeigen.

Meine Partnerin hat ein Auto geerbt, das sie nun ummelden muss. Und tatsächlich kann man das digital von zu Hause aus machen. Das ist eine gute Sache; wir sollen alle bei Corona „mit dem Arsch zuhause bleiben“, wie der aktuelle Werbespot der Bundesregierung rät. Also machen wir das auch. Kein persönlicher Termin bei der Zulassungsstelle, sondern: Home Office. Über die Website der Stadt kommt man auf eine Seite, auf der man die Ummeldung problemarm vornehmen kann. So die Theorie.

Das Allerwichtigste an einem deutschen e-Government-Dienst heutzutage ist selbstverständlich weder der Dienst selber noch wir „Kunden“ noch das Ergebnis. Das Wichtigste sind – die Datenschutzregeln. Mit denen fängt die Ummelde-Prozedur an. Eine lange Liste mit Paragraphen und Hinweisen zur DSGVO und dem Hinweis, dass die Behörde für den Online-Behördengang selbstverständlicherweise nur diejenigen Daten verarbeitet, die sie für den Online-Behördengang auch braucht. Immerhin, es werden Daten verarbeitet. Mal schauen, wie lange…

Denn mit dem nächsten Klick wird klar, dass ganz viele Daten eben *nicht* verarbeitet werden: E-Kennzeichen nicht, Oldtimer nicht, Grüne Kennzeichen nicht – eigentlich fast alle Kennzeichen, die nicht schwarz sind.

Aber jetzt geht es los: Eine Liste, was wir alles bereithalten sollen für die abenteuerliche Reise zur Ummeldung eines bestehenden Fahrzeugs. Zuallererst benötigen wir einen e-Perso mit freigeschalteter eID-Funktion. Den haben wir natürlich, und auch ein Lesegerät mit allem Zwick und Zwack. Also, die Liste im Original:

  • Nachweis einer gültigen Kfz-Haftpflichtversicherung mit Erhalt einer Versicherungsbestätigungsnummer (VB-Nr.). (7 stelliger Code ihrer Versicherung)
  • Nachweis einer gültigen Hauptuntersuchung oder entsprechend auch einer Sicherheitsprüfung, sofern diese nicht vom Assistenten beim Kraftfahrtbundesamt ermittelt werden kann.
  • Sie dürfen keine rückständigen Gebühren und Auslagen aus vorhergegangenen Zulassungsvorgängen haben und es dürfen keine KFZ-Steuerrückstände (größer 5 Euro) bestehen.
  • Sie sind eine natürliche Person, Halterin des Fahrzeugs und verfügen über ein Konto für den Einzug der Kfz-Steuer und haben den Hauptwohnsitz im Zulassungsbezirk.

Okay, haben wir alles. Kfz-Brief und Kfz-Schein selbstverständlich auch – auf denen sind neuerdings Codes zum Freirubbeln drauf. Mit denen kann man das Auto erstmal stilllegen. Wenn die Codes freigerubbelt sind, ist der Kfz-Brief erstmal wertlos.

Aber zuerst müssen wir uns mit dem ePerso identifizieren. Das klappt erstaunlich gut, wenn man vorher die richtige App heruntergeladen hat und die PIN rechtzeitig ändern konnte. Warum es für die Ummeldung aber wichtig ist, welches Geschlecht diejenige Person hat, deren Personalausweis gerade im Lesegerät steckt, das wissen wohl nur Eingeweihte. Jedenfalls will der e-Government-Behördengang das zwingend wissen. Dann kommt die Versicherungsnummer. Auch die geben wir ein. Und das Wunschkennzeichen. Klappt alles.

Nun wird’s heikel. Wir müssen den ersten Code freirubbeln. Und eintragen. Dann den zweiten Code – freirubbeln und eintragen. Auf Kfz-Brief und Kfz-Schein steht jetzt sinngemäß: Herzlichen Glückwunsch, sie haben Ihr Fahrzeug soeben stillgelegt!

Nun nur noch diesen TÜV-Code eintragen, und dann müsste das Auto umgemeldet sein. Cool oder?

Aber wo ist dieser TÜV-Code? Wir haben einen nur wenige Monate jungen Nachweis der gültigen Hauptuntersuchung mit einer Menge Ziffern und Codes und Kennnummern und IDs drauf. Nur, das dämmert uns langsam: Die für die Ummeldung nötige iKFZ-Nummer ist nicht mit drauf. Wir googlen. Tja, unser TÜV war zwei Monate zu früh, die nötige iKFZ gibt es erst seit 1. Oktober 2019.

Und damit bricht der Ummeldevorgang ab. Wir können nicht weitermachen. Wir haben ein fahrtüchtiges Auto, dem eine Ziffer auf dem TÜV-Bericht fehlt, das wir aber zuvor unabsichtlich stillgelegt haben. Nirgends in der E-Government-Anwendung gab es einen Hinweis auf die iKfz. Nirgendwo stand: Achtung, bevor Sie ihre Papiere ungültig rubbeln, checken Sie bitte Ihren TÜV-Bericht!

Und: Warum kann man die iKfz erst nach den beiden Rubbel-Codes eintragen? Warum nicht vorher, was doch viel logischer wäre – und wenn’s eben nicht klappt, rubbelt man die Codes eben nicht frei?

Das ist e-Government in Deutschland! Die Datenschutzerklärung ist super-vollständig, aber der Rest des Workflows ist Unsinn. Willkommen in der deutschen Bürokratie 2020. Wir haben dann doch den Weg aufs Amt gesucht. Nur 9 Minuten mit Mundschutz und freigerubbeltem Kfz-Brief auf der Zulassungsstelle, und das Auto wurde von einem sehr sympathischen Verwaltungsbeamten umgemeldet. Vielleicht, so die Quintessenz, ist e-Government halt was für Experten – und nichts für normale Bürgerinnen und Bürger?

Ich glaube, ich flieg mal wieder nach Seoul…

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