Ich bin ein strenger Vater, glaube ich. In meinem Selbstverständnis ist das aber völlig ok. Denn streng bedeutet in meinem Falle nicht unfair oder von oben herab oder maßregelnd. Es bedeutet, dass ich mich gegen meine Kinder abgrenze. Ich nehme sie als eigenständige Persönlichkeiten wahr, mit eigenen Bedürfnissen, Gefühlen und einer eigenen Sicht auf die Welt – genetisch leicht geprägt durch mich, aber sie sind nicht ich und ich bin nicht sie.

Solange sie ihre Füße unter meinen* Tisch stellen – *den habe ich lange vor ihrer Geburt bar bezahlt – gibt es zwischen uns eine Rangordnung. Ob sie und ich es wollen oder nicht. Ich bin dafür verantwortlich, dass sie irgendwann als selbstständige, fähige, glückliche und selbstbewusste Individuen ihr eigenes Leben leben können. Nicht mehr und nicht weniger.
Dazu fordern sie mich heraus, täglich, immer. Denn so funktioniert Lernen und Entwicklung: Grenzen ausloten, austesten und darüber hinaus gehen. Kinder begreifen das Leben nicht theoretisch. Das Konzept: „heiß!“ lernt man nicht durch Kopfgeburten, man lernt es durch verbrannte Fingerchen.

Wer nicht hören will,… dieser Satz der Nachkriegspädagogik sollte eher heißen „Wer nicht hören kann, kann nur fühlen“, denn Kinder begreifen das Leben durchs Begreifen. Und wir stehen als Eltern daneben und müssen diese taktilen Entwicklungsschritte orchestrieren. Fein dosiert, mit weitem Blick und einer gehörigen Portion Stellvertreterangst. Der Taktstock der Erziehung besteht aus vier Buchstaben: N E I N.

Samstag, 06.00 Uhr: „Stehen wir jetzt auf?“ – Nein

„Darf ich im Keller mit der Axt spielen?“ – Nein

„Darf ich fernsehen?“ – Nein

„Ich putze heute keine Zähne!“ – Nein?!?

Mittwoch, 19.30 Uhr. „Zelten wir heute im Garten?“ – Nein.

An manchen Tagen sage ich öfter „nein“ als in meinem gesamten Erwachsenenleben vor den Kindern zusammen. Möchte ich das? Nein.
Viel lieber würde ich mit ihnen abhängen und sie machen lassen was sie wollen. Auf Augenhöhe und gleichgestellt. Geht aber nicht, denn sie wollen das gar nicht. Kinder wollen fragen und Fragen beantwortet bekommen, sie wollen die Welt ausloten. Dabei bin ich ihr Guide und Sherpa, derjenige der die Grenzen zu ziehen hat. Ich bin der, der Sicherheit vermittelt und im Zweifelsfalle eine Lösung parat hat.

Neins bieten Kindern Rahmen, in denen sie machen können was sie wollen.

Neins bieten Chancen.

Fährst Du mich mit dem Auto zur Schule? – Nein, das schaffst Du auch alleine.

Suchst Du mir Klamotten raus? – Nein, das kannst Du schon.

undundund.

Ich lege Wert darauf so oft wie möglich das „Ja“ hinter einem „Nein“ aufzudecken. Ein „Nein“ zur Spielaufforderung kann ein „Ja“ zum gemeinsamen Abendbrot einige Zeit später sein. Ein „Nein“ zur Fernsehfrage ist ein „Ja“ zu einem gemütlichen Vorleseabend. Ein „Nein“ zum Spielen mit dem Werkzeugkasten ist ein „Ja“ zur Sicherheit des Kindes.

Ja-Tage

Im vollen Bewusstsein, dass Kindsein von zahllosen Neins geprägt ist, haben wir begonnen „Ja-Tage“ einzuführen. An diesen Tagen sagen wir „ja“ zu fast allem.

„Darf ich Fernsehen?“ Ja.

„Kann ich Nutella essen und danach mehr Nutella und danach Nutella?“ Ja.

„Kann ich googlen?“ Ja.

„Darf ich was auf Deinem Handy spielen?“ Ja.

„Kann ich Chips?“ Ja.

Ja-Tage entspannen das System Familie und verändern die Beziehungen. Es geht nicht mehr darum Grenzen zu finden und auszutesten, man begegnet sich konfliktbereinigt und vieles ist einfach mal egal. Dabei geht nichts kaputt, nichts wird in Frage gestellt oder zerstört. Vielmehr entsteht Vertrauen.

Auch als Erwachsene bewegen wir uns nicht dauerhaft in einem starren Korsett – im Idealfall. Wir liegen gelegentlich auch einfach mal auf dem Sofa rum, essen Chips, bestellen Pizza und gucken dummes Zeugs auf Netflix. Wir achten auf gar nichts außer unserer Faulheit und unser subjektives Wohlergehen.
Ja-Tage gestehen Kindern nichts mehr zu, als genau das. Kopf aus, Regeln Regeln sein lassen. Entspannung ohne Wachstumskonflikte.
Meine Erfahrung: die Kinder schlagen dabei nicht über die Stränge. Sie kennen Grenzen und können – altersgemäß – viel besser einschätzen was geht und was nicht, als wir es ihnen an manchen Nein-Tagen zugestehen.

Ja-Tage sind dabei keine Alternative zum normalen Alltag. Sie funktionieren nur wenn man als Eltern in Ja-Laune ist. Und Ja-Laune herrscht immer dann, wenn man Zeit und Ruhe hat. Neins sind der Weg, um morgens pünktlich das Haus zu verlassen, Jas helfen da nur sehr begrenzt weiter. Deshalb gehören Ja-Tage in eine Atmosphäre, die sie auch zulassen.

Wenn man sich dann von einem Plan für den Tag verabschiedet, dann gelingt ein Ja-Tag fast von alleine. Auch für Eltern bietet ein Ja-Tag Vorteile. Allem voran: Entspannung durch Drucklosigkeit. Nichts muss geplant oder strukturiert werden. Die Jas geben den Weg vor. Klar, auch an Ja-Tagen gibt´s mal ein Nein. Das ist dann aber so verkraftbar, dass es kaum auffällt. Und meistens fällt es dann, wenn die Kinder sowieso mit keinen anderen Antwort gerechnet haben.

Am nächsten Tag starten wir dann wieder in den normalen Alltag. Gestärkt durch viele Süßigkeiten, Chips, Fernsehen und eine große Menge gewonnenes Vertrauen darin, dass wir beides können: Ja und Nein.

Probiert´s mal aus!

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