Dieser Text beginnt mit einer Klammer auf.
(Wahrscheinlich) seitdem es Menschen gibt, gibt es Rituale und Traditionen, um verstorbene Stammesschwestern und Brüder zu bestatten.
Diese Riten dienen zum einen der Ehrerbietung gegenüber dem Verstorbenen. Er oder sie wird in Würde aus dem Leben in den Tod verabschiedet. Mal durch Feuer, mal durch Erde, mal durch den Fährmann – den man übrigens nicht bezahlen sollte, bis er einen auf die andere Seite gebracht hat.
Je nach Glaubensrichtung sind diese Zeremonien mal mehr mal weniger wichtig für den Verstorbenen – je nachdem wie der Tod jeweils gedeutet, interpretiert und gelesen wird. Mir persönlich ist kein Bekenntnis bekannt, das seine Verstorbenen sich einfach selber überlässt und keinerlei Kult ums das Lebensende pflegt.
Das ist auch gut so, denn das Drumherum am Lebensende ist vor allem für die Hinterbliebenen wertvoll, wichtig und entscheidend zur Trauerbewältigung. Abschiedsrituale führen Trauernde sanft in die Realität Verlustes ein. Sie sind eine Brücke zwischen der alten und der neuen Wirklichkeit (vgl. Kachler, 2019)
Zu diesen Ritualen gehören:
- Das Aussuchen des Sarges
- Die Versorgung des Leichnams, etwa durch Waschen oder Bekleiden
- das Sehen und Berühren des Leichnams
- die Gestaltung der Trauerfeiern und Beerdigung
- das Aussuchen von Blumen, Kränzen, etc.
- das Mitgeben von Bildern, Gegenständen oder Briefen
- das Verschließen des Sarges
- der „Leichenschmaus“
- die Übergabe und Bestattung der Urne
(zitiert nach Daiker und Seeberger; Pauls et. al. 2007)
Viele dieser Punkte sind zwar alleine machbar, in der Realität werden sie aber gemeinsam mit anderen Angehörigen und Freunden erlebt und bewältigt.
Trauerrituale durchbrechen die Sprach- und Hilflosigkeit nach einem Verlust. Es gibt etwas zu tun, zu organisieren, zu gestalten.
Zu den Ritualen gehört auch, dass aus dem Haus oder der Wohnung des Verstorbenen ein Trauerhaus wird. Man findet zusammen, vielleicht versorgt man die Familie der Verstorbenen mit Essen und entlastet sie so etwas. Man rückt zusammen.
So die Praxis bis vor einem guten Jahr. Die aktuelle Praxis sieht anders aus.
Menschen verbringen ihr Lebensende abgeschnitten von Angehörigen und Freuden, finale Gespräche am Totenbett sind sehr viel seltener möglich als in der Zeit vor Corona. Ist der Verstorbene dann verblichen gibt es eine Vielzahl von potenziell wichtigen Dingen, die gerade nicht stattfinden können:
Besuch von Freunden und weiter entfernten Verwandten ist nicht möglich. Somit auch Gespräche über den Toten, das immer-und-immer-wieder-Revue-passieren-Lassen des nun beendeten Lebens, das den Angehörigen den Start in eine gesunde Trauerbewältigung erleichtern kann.
In manchen Phasen der Pandemie mussten Angehörige viel länger als eigentlich üblich auf die Kremation warten, die Beerdigung verzögerte sich und somit verlängerte sich die Phase des nicht-Abschließen-Könnens. Denn eine Beerdigung kennzeichnet oftmals einen wichtigen Schritt in der Realisierung des entstandenen Verlustes.
Die Beerdigung an sich findet dann im kleinesten Rahmen statt, je nach Pandemiephase ohne Trauerfeier im eigentlichen Sinne. Die letzte Ehre kommt nicht zur Geltung und vom Grab geht es direkt wieder in die Einsamkeit des eigenen Zuhauses – auch der gesellschaftliche Leichenschmaus fällt aus.
Der ursprüngliche Sinn dieser Zusammenkünfte lag darin, dass die Gemeinschaft den hinterbliebenen Familienmitgliedern signalisierten, dass sie noch immer dazugehören und sich an diesem Bewusstsein nichts geändert hat.
Was jetzt passieren muss
Sterben und Trauer ist nicht aufschiebbar. Wir haben über die Menschheitsgeschichte hinweg Mittel und Wege entwickelt, so dass Trauer normalerweise nicht zum Trauma wird. Normalerweise funktioniert das ganz gut. Normalerweise.
Zur Zeit leben und trauern wir außerhalb der lange eingeführten Norm. Das was immer funktioniert hat ist nicht mehr funktional. Das kann man jetzt betrauern, bringt aber nichts. Es geht darum neue Wege zu finden mit Trauer umzugehen und nicht rituell an Riten festzuhalten.
Ziel dabei muss es sein, Trauernden und ihrer Trauer den Raum zu geben den es braucht, um die Realität des Verlusts annehmen zu können.
Dabei gilt die Regel: irgendwas ist besser als nichts. Eine Online-Trauerfeier kann das echte Zusammensein nicht ersetzen – ist aber besser als gar nichts.
Die live gestreamte Beerdigung für Freunde und entfernte Angehörige. Kann die tatsächliche (An)Teilnahme nicht ersetzen, bietet aber ein kleines Ritual und ist besser als gar nichts.
Ein Zoom-Leichenschmaus. Besser als nichts.
Dazu kommt die Frage, ob eine „Nachfeier“ sinnvoll sein kann. Klar, hier muss genau überlegt werden, denn eine nach hinten verlegte Erinnerungsfeier kann Wunden aufreißen, die vielleicht schon abgeheilt sind, wenn Corona es dann irgendwann wieder zulässt in größeren Meuten zusammenzukommen.
Eine Idee ist es aber. Auch, weil auf diese Weise auch weiter entfernte Verwandte und Freunde die Möglichkeit bekommen einen Abschluss zu finden.
Wenn vieles wegfällt, das normalerweise vom sozialen Umfeld getragen wird, muss über Alternativen nachgedacht werden. Jetzt. Denn aus normalen Trauerfällen werden, durch die Umstände der Trauermöglichkeiten, schnell pathologische Verläufe. Meines Erachtens können wir die Nachwirkungen der verwirkten Trauermöglichkeiten heute noch gar nicht absehen. Wir werden sehen.
Es ist jetzt wichtig den ausfallenden Möglichkeiten professionelle Angebote entgegenzusetzen. Trauergruppen sollten sich erweitern und Angebote speziell für Angehörige von Menschen schaffen, die durch Corona, mit Corona oder in Corona(zeiten) gestorben sind. Denn diese Todes- und Trauerumstände sind nicht normal.
Wenn wir jetzt nicht kreativ werden und verstehen, dass Trauer und Trauern corona-konforme Formen benötigt, dann stehen wir vor einer Flut von Menschen mit unnötig schwierigen Trauerverläufen. Das kann, darf und muss nicht sein!